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Gutachtung 2

Das von Frau Elliee vorgelegte Dissertationsprojekt „The introduction of modern mathematics at the beginning of the 20th century in Iran“ ist sehr interessant. das von Frau elliee vorgeschlagene Thema ist bislang noch völlig unbearbeitet, könnte aber von paradigmatischer Bedeutung sein für die Frage, wie die moderne Mathematik von Europa aus in andere Teile der Welt exportiert wurde. Hierzu gibt es bislang nur Untersuchungen zu den USA, nicht aber zu Ländern wie den Iran. Letzterer ist nicht zuletzt deshalb interessant, weil er über eine lange mathematische Tradition verfügte (im Antrag wird auf Khayyam verwiesen, der aber nur einer von vielen im persischen Raum wirkenden arabischen Mathematiker gewesen ist). Insofern wird es aufschlussreich sein, zu untersuchen, inwieweit bei der Modernisierung auf diese Tradition zurückgegriffen wurde und ob möglicherweise so etwas wie eine Synthese zwischen europäischer und persischer Mathematik versucht wurde.

Die geplante Untersuchung soll institutionelle Aspekte berücksichtigen wie die Gründung der ersten höheren Lehranstalt im Iran (Dar al-Fonun, 1855; eine Art pädagogische Hochschule) und der Universität Teheran. Dies ist sicher unerlässlich für das Thema Modernisierung. Interessant dürfte auch die Frage sein, welche mathematischen Inhalte wann und wo gelehrt wurden, wobei natürlich auch auf die Lehrmittel, insbesondere Lehrbücher, eingegangen werden sollte.

Offensichtlich hat sich die fragliche Modernisierung hauptsächlich auf den Import europäischer Mathematik im 20. Jh. gestützt. Dies ist ein sehr interessantes Beispiel für die Wanderung von Wissen – ein Thema, dem sich die Mathematikgeschichte in den letzten Jahren verstärkt zugewandt hat (allerdings auch wieder recht eurozentrisch [etwa Austausch zwischen Deutschland und Frankreich]). Für diese These sprechen die Biographien ausgewählter einflussreicher iranischer Mathematiker, bei denen lange Auslandsaufenthalte der mathematischen Ausbildung dienten. Auch hier wäre wieder zu fragen, ob und falls ja inwieweit es zu einer Synthese von überlieferten iranischen Bildungsinhalten und modernen europäischen Ansichten kam. Hierbei wäre auch an Fragen wie Bedeutung und Stellung der Mathematik im Bildungskanon zu denken. Weitere in diesem Zusammenhang interessante fragen sind: Welche europäischen Länder wurden hauptsächlich von iranischen Mathematikern zu Forschungsaufenthalten ausgewählt? Werden entsprechende Einflüsse in der iranischen Mathematik deutlich? Werden auch Argumentationen zu Gunsten der Mathematik und ihres Bildungswertes importiert? Sind hier nationale Besonderheiten erkennbar?

Die genannten fragen lassen mich zu der Ansicht gelangen, dass es sich hier um ein wirklich interessantes und innovatives Forschungsvorhaben handelt. Die Tatsache, dass mit Frau Elliee eine Person zur Verfügung steht, die sowohl fachwissenschaftliche Kenntnisse als auch Kenntnisse der Sprache und der Kultur mitbringt, erscheint mir als ein großer Glücksfall und als eine interessante Chance.


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